Zurück zur Übersicht / 05.08.2025

Technisches Know-How reicht nicht: Geopolitische Risiken bei internationalen Projekten. - Interview mit Philippe Welti

Was hat Geopolitik mit Ingenieurwesen zu tun? Mehr, als man auf den ersten Blick denkt. Wer als Ingenieur:in an internationalen Projekten arbeitet, bewegt sich automatisch im Spannungsfeld politischer, wirtschaftlicher und kultureller Gegebenheiten. Häufig scheitern Projekte nicht an der Technik, sondern an unvorhergesehenen Entwicklungen im politischen Umfeld.

Im Gespräch mit Philippe Welti, ehemaliger Schweizer Botschafter und Experte für internationale Beziehungen, wird deutlich: Wer im Ausland erfolgreich sein will, muss Machtverhältnisse, Konflikte und politische Dynamiken verstehen – und diese frühzeitig in seine Planung einbeziehen.

Sie waren als Botschafter im Iran tätig und haben die Rolle der Schweiz als Vermittlerin zwischen den USA und dem Iran wahrgenommen. Was können Sie aus dieser diplomatischen Erfahrung Schweizer Unternehmen für ihre Geschäftstätigkeit in geopolitisch sensiblen Regionen mitgeben?

Vorerst eine Präzisierung. Die besondere Rolle, die der Schweizer Diplomatie in Iran zukommt, ist die Wahrnehmung der Interessen der USA. Das nennt man «Schutzmachtmandat». Ein solches Mandat schliesst grundsätzlich jede vermittelnde Tätigkeit zwischen Konfliktparteien aus. Zu Ihrer Frage: Eine erfolgreiche Geschäftstätigkeit in geopolitisch sensiblen Regionen setzt voraus, dass man, ähnlich wie bei der kaufmännischen «due diligence», zuerst die politischen Gegebenheiten in und um ein bestimmtes Land vertieft analysiert, und zwar bevor man die geschäftsbezogenen Aktivitäten aufnimmt. Für ein bestimmtes, als möglicherweise kritisch eingestuftes Land empfiehlt sich durchaus auch, die für das Land oder die Region zuständige Schweizerische Botschaft mit den eigenen Plänen zu befassen. Häufig erinnern sich in Schwierigkeiten geratene Geschäftsleute erst dann an die diplomatischen und konsularischen Dienste der Schweiz, wenn bereits ein grösserer Schaden vorliegt oder unmittelbar droht. Generell ist der Kontakt mit den Swiss Business Hubs sehr lohnend. Sie sind den Botschaften unterstellt, operieren aber sehr autonom und verfügen auch über gut eingeführtes Lokalpersonal. Schliesslich ist der direkte Kontakt von «peer to peer» bzw. eine aktive Mitwirkung in örtlich vorhandene Organisationen wie Swiss Business Association oder Chambers of Commerce sehr zu empfehlen. Gerade in Indien habe ich den Mehrwert erlebt, den die Vernetzung zwischen Botschaft in New Dehli, Swiss Business Hub in Mumbai und die Swiss Indian Chamber of Commerce in den dynamischen Regionen generiert.

Welche Rolle kann die Schweiz einnehmen, um die Wettbewerbsfähigkeit und Resilienz der heimischen Exportwirtschaft zu stärken?

Es ist eine Binsenwahrheit. Wettbewerbsfähig bleibt man nur, wenn man sich ohne staatliche Subventionen der internationalen Konkurrenz stellt. Es gehört zur bewährten Erfahrung der Schweiz, dass unsere Behörden keine Wirtschaftsbereiche künstlich am Leben erhalten, wenn sie im internationalen Wettbewerb nicht aufgrund eigener Stärke bestehen können. Natürlich sind Bereiche davon ausgenommen, die aus Gründen nationaler Interessen, z.B. Sicherheit oder Landesversorgung, mit staatlicher Hilfe überleben müssen. Wenn man die innenpolitische Diskussion bei uns verfolgt, stellt man allerdings fest, dass der Ruf nach Strukturerhalt immer wieder auch in nicht zwingenden Fällen ertönt.

Im Aussenwirtschaftsbereich setzen sich die Schweizer Behörden seit jeher für Freihandelsverträge und -regeln ein. Diese Strategie strebt stets die bestgeeigneten Rahmenbedingungen an. Der Kampf für einen möglichst offenen und freien Welthandel, war lange Zeit eine Selbstverständlichkeit. Seitdem der US-Präsident eine allgemeine Unruhe im Welthandel verursacht hat und aufrechterhält, ist dieser Kampf eine Tugend, deren Legitimation aktiv verfochten werden muss.

In Ihrer Tätigkeit mit «Share-an-Ambassador» bieten Sie geopolitisches Coaching an. Welche Themen stehen dabei für exportorientierte KMU im Vordergrund, und wie können solche Coachings konkret zur Risikominimierung beitragen?

Wir vermitteln, in Medienartikeln und bei persönlichen Auftritten, das «grosse Bild» der globalen Welt. Wir analysieren die Bedeutung der relevanten Akteure und erklären die Kräfteverhältnisse, die sich daraus ergeben. Es geht immer um die politisch, wirtschaftlich und militärisch wichtigsten Länder und Grossregionen, deren Beziehungen untereinander sowie deren Einfluss auf ihre Nachbarn und die globale Ordnung insgesamt. Das Hauptaugenmerk ist seit einiger Zeit darauf gerichtet, wie und woher die westlich inspirierte, liberale und stark auf den Respekt für Rechtsregeln basierte Weltordnung herausgefordert wird. In rund drei Jahrzehnten hat sich China mit seinen kollektivistischen Gesellschafts- und Wirtschaftsstrukturen zur Hauptbedrohung der globalen Ordnung entwickelt. Paradoxerweise sind nun auch die USA, welche die geltende Ordnung begründet haben, zu einer ihrer Herausforderer geworden.

Wir analysieren auch die Faktoren, die in spezifischen Ländern oder Regionen die Chancen unserer Exportindustrie determinieren. Dabei tun wir das, was wir «geopolitische due diligence» nennen, und wozu wir interessierte Unternehmen anregen oder, auf Wunsch, auch anleiten. Wir sind der Ansicht, dass jeder marktbezogenen kaufmännischen «due diligence» (bezüglich Markteintritt, Marktverhältnisse, «ease-of-doing-business» etc.) eine klar davon getrennte geopolitische Analyse vorausgehen sollte. Als aktive Botschafter haben wir an unseren Einsatzorten immer wieder erlebt, dass «böse Überraschungen» auf neuen Märkten häufig auch darauf zurückgeführt werden mussten, dass dem Markteintritt keine sorgfältige politische Analyse vorausgegangen war.

Welche Regionen oder Märkte sehen Sie als besonders vielversprechend für die Schweizer Exportwirtschaft in den kommenden Jahren?

Der Grossraum, der die Entwicklung im 21. Jahrhundert dominieren wird, ist der Indo-Pazifische Raum. Massgebend werden die USA, China, Indien, Nordostasien (Japan, Südkorea) und Südostasien (mit Australien) sein. Für die traditionell global aufgestellte Schweizer Exportindustrie sind auch mittlere und kleinere Märkte zu beachten bzw. zu bearbeiten, sobald und soweit sie sich zu zunehmenden Liberalisierungen verpflichtet haben. Bei dieser Gelegenheit unterstreiche ich, dass aus der Schweiz heraus die ersten erfolgreichen Schritte zwingend in Europa gemacht werden müssen. Falls sich die Beziehungen mit den USA weiter verschlechtern sollten und Europa auf diese Weise zu einer eigenständigeren Rolle in der Welt quasi gezwungen wird, besteht die Chance, dass sich auch die Europäer (innerhalb und ausserhalb der EU) auf Wachstumspolitik fokussieren und dazu die klassischen Instrumente einer liberalen Wirtschaftsordnung neu beleben. Forderungen nach Deregulierungen sind wieder häufiger zu hören. Damit müsste aus offensichtlichen Gründen von Neuem das Hauptaugenmerk der europäischen Nachbarschaft gelten.

Mit einem Blick in die Zukunft wird klar, dass sich Schweizer Firmen auf eine zunehmend komplexe geopolitische Landschaft einstellen müssen. Welche Kompetenzen und Fähigkeiten sollten Fachkräfte entwickeln, um in diesem Umfeld erfolgreich zu agieren?

Die Voraussetzungen, um aus der Schweiz heraus geschäftlich erfolgreich zu sein, sind nicht neu und bleiben ein Kernstück jeder Firmenstrategie: Umfassende Exzellenz in Innovation, Produktion und Vermarktung, die dazu befähigt, für den gewählten Bereich oder das eigene Produkt die Weltspitze anzustreben. Neues Gewicht erhält die Fähigkeit, auch überraschende Entwicklungen in den internationalen Kräfteverhältnissen und politischen Machtverschiebungen rasch zu erkennen oder sogar zu antizipieren, um schneller als andere die geschäftlichen oder betrieblichen Konsequenzen daraus zu ziehen. Flexibilität und Agilität sind Eigenschaften, die an Bedeutung massiv gewonnen haben. Und wir sind überzeugt, dass eine systematische «geopolitical due diligence», auch bezogen auf geografisch diversifizierte Lieferketten, eine notwendige Voraussetzung dafür ist.

Vielen Dank für den interessanten Austausch.

Philippe Welti ist ehemaliger Schweizer Botschafter (Indien und Iran, zuvor Sicherheitspolitischer Direktor im Verteidigungsdepartement) und zusammen mit Dr. Daniel Woker (Missionschef in Australien, Singapur und Kuweit) Gründer von «Sharean-Ambassador/Geopolitik von Experten», einer Firma und Plattform für geopolitische Analysen und massgeschneidertes Coaching. Sie referieren und publizieren regelmässig.

Das Interview ist in der Juniausgabe 2025 vom Verbandsmagazin "express" von Swissrail erschienen.

Hier kannst du die vollständige Ausgabe lesen.